Es ist gleichsam die Wiege der Schweiz. Nur einen Steinwurf entfernt vom Ort des geschichtsträchtigen „Rütlischwurs“ oder Wilhelm Tells „Hohler Gasse“ in Küssnacht, dort wo also die Eidgenossenschaft am ältesten ist. Wir befinden uns in Brunnen am malerischen Vierwaldstättersee. Zwischen mondänen Villen aus der Gründerzeit liegt das Birdy’s by Achtien.
Küchenchef und Inhaber ist Christian Vogel. Mit gerade mal 31 Jahren betreibt er einen der jungen Hotspots der Schweizer Gourmet-Szene. Kongenialer strategischer Partner ist der ebenfalls namensgebende Inhaber Jeroen Achtien, der aktuell noch im Vitznauerhof (18 Punkte) kocht und im Herbst ein 3-Sterne-Restaurant in seiner holländischen Heimat übernimmt. Wir durften in die Küche und mit Christian Vogel über seine Art des Fine Dinings philosophieren.
Dass Christian Vogels Vater eine Käserei hatte, mag wie ein typisch eidgenössisches Klischee klingen. Gemeinsam mit dem Feinkostladen der Mutter lässt sich jedoch ein Fundament für Genuss und Qualität erkennen. Streng genommen verdanken die Gäste des Birdy’s ihre genussvollen Momente einem schicksalhaften Kreuzbandriss – ohne den wäre Christian nämlich in den Profi-Skisport gegangen. „Beim Schnuppern vor der Lehre erkannte ich die Parallelen zum Skifahren, vor allem was Druck, Energie und Leidenschaft betrifft“, blickt der nach wie vor sportlich Aktive zurück.
Mit seiner Chefin während der Lehre landete er laut Eigenaussage einen Volltreffer. Die klassische Ausbildung in einem Betrieb mit 15 Gault&Millau-Punkten wurde ergänzt um Naturverbundenheit, Regionalität und den intensiven Einsatz jener Zutaten, die aus dem eigenen Garten kamen. Die Entscheidung, gleich auf hohem Niveau zu starten, war bewusst getroffen. „Das normale, gutbürgerliche Essen hat geschmeckt, das andere aber hat mich bewegt“, resümiert Christian Vogel. Überhaupt empfiehlt er jungen Menschen, die Basisausbildung in solchen Restaurants zu machen: „Du arbeitest mit Produkten, die du sonst nicht hast, bist schnell sehr kreativ und am Ende hast du ein breites Wissen und Können.“ In kleinen, familiären Betrieben komme man überdies schneller zum Kochen. Während seiner Lehrzeit hing der molekulare Stern des El Bulli ganz hoch oben am weltweiten Gastro-Himmel. Vogels Interesse an Texturen war geweckt und treibt ihn seitdem bei jeder kulinarischen Kreation um.
Die Lehrzeit beschreibt er rückblickend als perfekt. „Natürlich viel Stress, der derbe Gastro-Humor untereinander – aber immer im Team, niemals ausbeuterisch oder erniedrigend. Und unsere Chefin war menschlich einfach super!“ Das sollte sich bei allen weiteren Küchenchefs durchziehen. Trotzdem kennt Vogel die andere Seite: „Die Branche kennt die Choleriker und Tellerschmeißer – oftmals wollten diese Menschen zu schnell zu weit nach oben. Das verändert deine Persönlichkeit, viele kommen mit dem Druck nicht klar. Ich umgebe mich mit Köchen, die das nicht mehr wollen und in ihren Küchen anders arbeiten.“
Vertiefendes Wissen eignete sich der Jungkoch in verschiedensten Schweizer Gourmet-Betrieben an. Kunststück, im Land mit der höchsten Sterne- und Punktedichte gemessen an der Einwohnerzahl. Hier findet sich Qualität an der nächsten und der entlegensten Ecke. Wie etwa im Wallis, wo der gebürtige Österreicher Peter Geschwendtner in einer 80-Seelen-Gemeinde fast drei Jahrzehnte lang ein 16-Punkte-Restaurant führte. Er wollte den damals gerade 21-jährigen Christian Vogel als Souschef installieren: „Da Peter ein hervorragender Alpinist ist, stellte ich eine Bedingung: ‚Nur wenn du mit mir aufs Matterhorn gehst!‘“ Mitten in der Saison brachen sie nach dem Mittagsservice auf, übernachteten in der Hörnlihütte und standen nach erfolgreicher Gipfelbesteigung abends wieder in der Küche. Eine kulinarische Seilschaft der besonderen Art.
Wichtig in der Rückschau war auch eine Sommersaison am Zürichsee bei Christian Geisler (seit 2018 im Salzburger Senns, 2 Sterne/18,5 Punkte). Hier lernte Vogel, wie wichtig Philosophie und Handschrift sein können. „Christian Geisler hatte beides und rundete meinen Werdegang von klassischer Küche über Regionalität mit dem Baustein ‚moderne Küche‘ ab. Er arbeitete viel mit Texturen, zerlegte Produkte und baute sie wieder zusammen – das war für mich wahnsinnig spannend und lehrreich!“
Eine wesentliche Beobachtung auf seinen Reisen legte den Grundstein für das kulinarische Konzept des Birdy’s: Mehr und mehr Gäste bestellen lieber à la Carte als ein Menü und nach der Hälfte werden die Teller getauscht. Denn neugierige Genießer wollen vieles probieren. Dass der Trend zu spannenden und unerwarteten vegetarischen Gerichten geht, war die zweite richtungsweisende Conclusio. Schnell sei daraus das Birdy’s-Konzept entstanden: „Wir haben ein Sharing-Prinzip auf vegetarischer Basis. Alle Gäste eines Tisches bekommen also dasselbe und sprechen über die gleichen Gerichte. Auf Wunsch wird Fleisch oder Fisch separat dazugegeben. Sehr schnell entsteht eine Atmosphäre wie zu Hause und die Gäste treten miteinander in Interaktion.“ Frei von Ernährungsideologien denkt sich Christian Vogel immer in seine Gäste. Das Ergebnis ist eine völlig heterogene Stammkundschaft. „Wir haben sehr junge Gäste, die zu einem besonderen Anlass kommen. Aber auch viele Gäste 80+, die das Sharing-Konzept lieben, weil sie gern vieles probieren möchten, aber keine großen Portionen mehr schaffen. Beim Sharing kann man sich durch bis zu elf Gerichte kosten“, erzählt der Küchenchef.
Wer Sharing nicht kennt und auf den eigenen Teller besteht, reserviert an der eigens designten Gourmet-Bar „The Nest“, wo an insgesamt 12 Plätzen ein fixes Menü serviert wird. Hinter der Bar arbeitet ein Mitglied des Küchenteams. Anders als bei der zeitweise angesagten Open-Kitchen-Bauweise findet hier echte Interaktion mit den Gästen statt, wird gefragt, erklärt und gezeigt.
Genau dort ergibt sich auch die Möglichkeit, über die Hintergründe der einzelnen Zutaten zu sprechen. Denn Christian Vogel macht sich rund ums Jahr auf und sammelt viele Komponenten rund um den Vierwaldstättersee. „Das Erste ist immer der Bärlauch – heuer waren es fast sieben Kilo Blätter“, lacht der Naturkenner und -liebhaber. „Es gibt fast nichts, was wir nicht verarbeiten. Löwenzahn, Hollunder, Tannenschössli und viele andere saisonale Geschmacksgeber.“ Besonders viel Arbeit steckt hinter den schwarzen Nüssen. „Anfang Juni gibt es ein kurzes Zeitfenster, in dem ich grüne Walnüsse pflücke. Jede Nuss wird dann angestochen, aufgekocht und in einem Sud aus Zucker, Essig und Gewürzen eingelegt. Durch die Oxidation werden sie schwarz und es entsteht ein unnachahmlicher Geschmack.“ Drei Wochen vor Eröffnung unterzog Vogel über 2.400 Nüsse dieser liebevollen Behandlung. Seine breite Palette an selbstgemachten Sirupen, Essenzen und Ölen behält der junge Kreative aber nicht in der Küche zurück. „Ich habe Spaß daran, neue Drinks zu entwickeln und diese auf die Gerichte abzustimmen – ich bin in der Cocktailkarte mindestens so aktiv wie bei den Speisen!“
In der Küche dominiert ein riesiges Big Green Egg. Direkt unter dem Abzug platziert, verleiht der Küchenchef damit nicht nur Fleisch und Fisch, sondern auch seinen pflanzlichen Kreationen den immer perfekten Anteil an Röst- oder Raucharomen. Griffbereit daneben findet sich Black BBQ aus dem WIBERG Exquisite Sortiment. „Oftmals fragen die Gäste, ob in einem Gericht nicht doch Fleisch enthalten ist. Dabei liegt mein Fokus gar nicht auf dem Imitieren. Es liegt an meiner Freude am Spiel mit Textur und Geschmack“, erklärt der aufstrebende Gourmet-Könner.
Die kreative Freude, die Christian Vogel am Kochen, am Tüfteln und an jedem einzelnen zufriedenen Gast hat, die springt über und man kann sich seiner Begeisterung nicht entziehen.